Mein heutiger Probefahrtbericht beginnt mit einer kleinen Warnung:
Wer sich grundsätzlich gegen Elektromotoräder verwehrt, sollte gar nicht erst weiterlesen. Das sage ich aus reinem Selbstschutz, weil ich weiß, das es Kollegen gibt die das Thema eher mit Bestrafungen in Form von Steinigungen oder Scheiterhaufen abarbeiten würden.
Zu meiner Verteidigung, auch wenn mir bewusst ist das diese Vorgehensweise den brennenden, vermeintlichen Hexen auch nichts genutzt hat, möchte ich sagen, das ich NICHT darüber nachdenke eine Elektro-Mopete anzuschaffen. Die Diskussion hatten wir bereits mehrfach.
Aber ich bin und bleibe neugierig, und letztendlich muss es ja nicht unbedingt so schief laufen wie im Frühjahr mit dem Hoverboard.
Hier geht es jetzt um eine
Harley Davidson Livewire. Das Leistungsblatt macht einen jetzt nicht unbedingt scharf: 106 PS, 116 Nm, Endgeschwindigkeit 180 km/h (abgeriegelt). Der Parameter, der hier unauffällig in der Mitte platziert ist, sagt aber eben nicht die ganze Wahrheit. Diese 116 Nm stehen nämlich direkt bei der ersten Motorumdrehung an.
Ulli, der Sauerländer Harley Fan und Besitzer der Livewire war sich erst nicht sicher, ob ich der Richtige für eine Probefahrt bin. Ich hatte mich schon auf eine massive Kleinkindquängelaktion vorbereitet, incl. bebender Unterlippe und Tränen, aber meine wohlgesonnen Kollegen und Begleiter der Sauerlandtour grölten lachend in die Runde….“
wenn einer mit dem Teil umgehen kann, dann der Mäc, der hat ein E-Auto, ein E-Bike…. und kann Hoverboard fahren“… Wer solche Freunde hat braucht keine Feinde ! Ulli schien etwas irritiert zu sein, kannte ja mein Havarie-Thema nicht, und scheinbar vernichtete die gute Gesamtstimmung weitere Zweifel.
Also ab in die Werkhalle zu der Harley-Sammlung. Den Schlüssel für die Maschine konnte ich mir in die Tasche stecken, da konnte er auch bleiben. Allerdings schien es gleich ein Problem zu geben, nämlich, wenn man in der Garage Exemplare des gleichen Herstellers sammelt.
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Zum Glück handelt es sich um ein schlüsselloses System, sonst hätte ich vor lauter Ungeduld den falschen Schlüssel beim Reinpressen bestimmt abgebrochen.
Die Sitzposition erinnerte mich übrigens ein wenig an die aktuelle Honda CB1000R, das Display auch. Zündung an bedeute hier aber nur Display an, mehr nicht. Ulli sagte mir …“
wir fahren erstmal im Eco-Modus, da zieht die genug. Im Sportmodus geht die in 4 Sekunden auf 180“ .
Physikalisch anzuzweifeln, aber diese Aussage steht allerdings auch nicht auf dem Papier, da heißt es in 3 Sekunden auf 100. Ich wiederspreche nicht, weil ich bis dato noch nicht wusste, was auf mich zukommt.
Okay, Kupplung ziehen, Gang rein…ach nee. Also Gasgriff leicht drehen. Das leise elektronische Säuseln, wie von einem Vibrator mit leeren Batterien, vermittelt mir da passiert was. Ulli fährt mit seiner 152 PS PanAmerica ziemlich zügig vom Hof , ich mit entsprechendem Gas hinterher…Verdammte Hacke !!!
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Die ersten Meter erschrecken mich, vor allem weil das der Eco-Modus sein soll. Wenige Kilometer weiter kommt das erste zwingend zu lösende Problem auf mich zu, Abbiegen. Eine gelbe Warnweste mit den Worten „Fahrschule“ über meinem angespannten Astralkörper wäre jetzt gar nicht aufgefallen, es muss bescheuert aussehen, wenn ich mit dem Teil eine enge Abbiegung bewältigen muss. Hier fehlt mir die Übung und der Mut mit Gas um die Ecke zu kommen.
Ulli ist gnadenlos und erhebt ganz deutlich den Anspruch der Hausherr dieser Straßen zu sein. Die Stecke ist ziemlich kurvenreich, enge, weite Kurven, und wieder kurze gerade Stücke, auf denen ich, Dank des vehementen Durchzugs der Harley, es wieder schaffe auf Ulli aufzuschließen. Es ist eigentlich nicht das Gewicht was mir für die Kurven Probleme bereitet, denn das ist mit 250 kg annähernd gleich einer Bandit. Es ist die stark ausgeprägte Motorbremse, die für Rekuperation sorgt, also die Wiederaufladung des Akkus bei Verzögerung. In den Tiefen meines fast schon gelöschten Langzeitgedächtnis erinnerte ich mich an meine K100RS Zeiten in den 90igern, also vor Kurven anbremsen und mit gleichmäßigem Gas durch. Eigentlich reine Übungssache, aber nicht innerhalb einer halben Stunde.
Nach gut zehn Minuten fährt Ulli an die Seite. …“Stell ma` auf Sport“… Das Vertrauen das Ulli in mich setzt beschämt mich, auch weil es mir wegen der Menüführung nicht gleich gelingt den Sport-Modus zu aktivieren. Aber jeder Hersteller, egal ob Auto, Motorrad oder Fernseher scheint hier seine eigene Phantasie auszuleben. Okay Sport ist drin, Ulli gibt schon wieder Knallgas, ich auch………(Blackout)……..…irgendwie fehlen mir einige Sekunden, ich schein lediglich durch meine Instinkte gesteuert worden sein. Wahrscheinlich die Angst das Vorderrad könnte den Bodenkontakt verlieren, hat meinen zum Glück derzeit übergewichtigen Körper in Richtung Tank platziert. Wahrscheinlich gibt es, unbewusst durch die Begeisterung für Motorräder, auch sowas wie einen Dragster-Instinkt.
Leute , wenn man es nicht erlebt hat, glaubt man es nicht! Das Teil beschleunigt unfassbar, ebenso der Durchzug, ich persönlich kannte bis dato nichts, rein gar nichts vergleichbares.
Ich habe mir die Frage gestellt, welche Zulassungsbehörde so etwas freigibt.
Die weitere Tour wurde mit einer Ausschüttung von einer Mischung aus Endorphinen und Adrenalin begleitet. Ich bin Ulli auf jedem geraden Stück fast ins Heck gekrochen. Kurven anbremsen mit den Brembos klappte überraschender Weise saugut, besser jedenfalls als mit der 1000er Suzi. Komisch ,warum? Hat hier der italienische Bremsenhersteller gedacht er darf sich bei einem Premiumhersteller nicht die Blöße geben ???
Wiederkehr zum Stützpunkt mit feuchtem Höschen, und es handelte sich dabei garantiert nicht um Flüssigkeit die bei starken Schockzuständen abgesondert wird!
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... und die kurze Überlegung ob ich einfach durchbrenne, zum Glück habe ich schnell doch noch klare Gedanken gefasst und die Lade-Infrastruktur in Erinnerung gerufen. Also kein Durchbrennen und Rückgabe
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Fazit: Als ich vom Bike abgestiegen bin hatte ich echt einen zittrigen Körper und weiche Knie. Da die Temperaturen auszuhalten waren, muss es Adrenalin gewesen sein. Als ich wieder bei Verstand war, auch wenn es einige bei mir bezweifeln, konnte ich klarere Gedanken fassen. Und vor allem eine Rechnung aufstellen: 33.000€ Anschaffung = 660 Freizeitparkbesuche mit ähnlichem Nervenkitzel. Und wir alle wissen, man gewöhnt sich recht schnell an alles, was erst atemberaubend ist und einen Herzrasen verursacht.